Kluge Ärzte

Artikel #802 vom 01.08.2016


Ab und zu sollte man innehalten. Den täglichen Gedankenmüll stoppen. Sich zurücklehnen. Und versuchen, über den Tellerrand hinauszublicken. Sich einen neuen Überblick zu verschaffen. Möglicherweise – aufgrund von neuen Tatsachen – seine eigene Sicht der Welt überdenken und neu ausrichten. Solche eine Chance, solch ein Innehalten hätte der Brexit sein sollen. Aber vollstes Verständnis auch für ein „einfach weiter wursteln“. Wenn man wie unser Kurfürst Martin Schulz zwei persönliche Chauffeure und einen ganz persönlichen Kammerdiener besitzt… das möchte man natürlich bewahren.

Lassen wir den Spott. Fass ich mich lieber an die eigene Nase. Da lese ich in der FAS vom 19.06.2016 über hilfreiche Internet-Adressen. Wie kann ein Patient sich informieren. Sich weiterbilden. Sich über eine Krankheit aufklären lassen. Und da wird an erster Stelle genannt

  • Das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄQZ), ein Zusammenschluss von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung.

Das betreibt mehrere Internetseiten und klärt auf. Nicht nur Patienten, sondern auch uns Ärzte: Man kann hier auf sogenannte „Nationale Versorgungsleitlinien“ zurückgreifen. Das sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über Therapien….

Wenn das kein Angebot ist: Unsere obersten Standesorganisationen, die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung Hand in Hand. Zeigen uns, wie es geht, mit Hilfe von Nationalen Versorgungsleitlinien. Bieten uns Hilfe an bei den alltäglichen schwierigen Entscheidungen in der Praxis.

Qualitativ besser geht es nicht. Ein optimales Angebot an den Arzt. An mich.

Wenn da nicht die Bertelsmann Stiftung wäre. Die eine Woche vorher, am 13.06.2016 eine ausführliche Umfrage und deren Ergebnisse veröffentlicht hätte. Und die konstatieren:

  • Nur ein Drittel der befragten Ärzte hält die Patienteninformationen dieser Internetseite für vertrauenswürdig.

Nur ein Drittel der Ärzte also vertraut der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Also unserer höchsten Standesvertretung. Heißt andersherum: Zwei Drittel der Ärzte glauben denen kein Wort. Das muss Gründe haben.

Die haben die Nase voll.

Selbstverständlich beginnen alle wir Ärzte, als Jung-Ärzte, mit Urvertrauen. In unsere Standesorganisationen. Aber anscheinend passiert im Laufe unseres beruflichen Lebens etwas. Resultat: Zwei Drittel der Ärzte glauben denen da oben nichts mehr. Noch nicht einmal fachliche Informationen werden denen mehr abgenommen.

Was heißt das? Man glaubt, die sagen nicht die Wahrheit. Man glaubt, die schwindeln. Man glaubt, die „Wahrheit“ sei fremdbestimmt, beeinflusst. Ich möchte mich hier nicht näher philosophierend äußern, aber jeder von Ihnen kann ja mitdenken.

Fazit: Ich muss umdenken. Ich, ganz persönlich, muss mich an die eigene Nase fassen. Muss meine Meinung über meine Kollegen revidieren. Erfahre also - für mich ganz neu – dass zwei Drittel der Kollegen so denken wie ich. Genauso misstrauisch, ungläubig, besser gesagt: Genauso bestens informiert.

Denn die Ablehnung von zwei Drittel meiner Kollegen ist ja erst gewachsen. Gründet ja auf persönlicher Erfahrung. Da muss schon eine ganze Menge Täuschung und Enttäuschung passiert sein, bevor man seine eigene Standesvertretung ablehnt.

Sollten doch ein paar mehr Ärzte, vielleicht sogar Diabetologen eine differenzierte Meinung zur DGE haben? Zu deren … krankhaften Kohlenhydrattheorie? Nur: Weshalb les ich dann so wenig darüber? Weshalb komm ich mir immer vor wie einer von wenigen einsamen Rufern?

Haben vielleicht zwei Drittel meiner Kollegen ebenfalls Briefe ihrer Ärztekammer bekommen, so wie ich, der ich die Internetseite drstrunz.de abzuschalten hatte? Weil zu positiv? Weil zu erfolgreich? Weil so anders?

Sie ahnen, dass ich soeben lächele. Das Umfrageergebnis der Bertelsmann-Stiftung hat mich dann doch überrascht.

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