Erhellendes aus München

Artikel #957 vom 28.05.2018


Ei, gucke da, hab ich gedacht beim Lesen eines langen Artikels über das Metabolische Syndrom. Sie wissen schon: Übergewicht, Bluthochdruck, Blutfett und so weiter. Also der ganz alltägliche Wahnsinn quer durch die deutsche Bevölkerung.

In München nämlich sitzt Professor Dr. Hauner. Chef der Leitlinien der DGE. Sie erinnern sich? Gesunde Kost heißt 55% Kohlenhydrate. Auch heute noch, 2018. Wie so ganz anders der aktuelle Artikel aus der TU München, den mir liebenswürdigerweise Frau Kollegin K. Lechner, Erstautorin, zugeschickt hat.

Da ich News möglichst unterhaltsam gestalten möchte – verstehen Sie – einfach ein paar Zitate. Die so richtig das Herz erwärmen:

„Kohlenhydrate sind nicht essenziell. Die derzeit empfohlene Proteinmenge reicht nicht aus… Den Omega-3-Index sollte man zieladaptiert anheben (messen!!!); gesättigte Fette (aus naturbelassender Nahrung) sind nicht schädlich und so weiter.“

Zentrale Aussagen, der modernsten Medizinauffassung entsprechend. Will sagen: Uralt. Nennt sich heute Paleo. Mehr davon?

„Das Metabolische Syndrom, Herzkreislauferkrankungen, … Fettleber sowie die häufigsten Krebserkrankungen (Dickdarm, Brust, Prostata) haben gemeinsame Ursachen und werden folglich als „metabolisch-vaskuläres Syndrom“ zusammengefasst.

Die Insulinresistenz, welche mit einer kompensatorischen Hyperinsulinämie einhergeht, spielt pathophysiologisch eine zentrale Rolle.“

Soll heißen: Kohlenhydrate. Zucker. Den letzten Satz kann man sehr viel einfacher ausdrücken. Aber wir sind hier in einer wissenschaftlichen Arbeit. Einverstanden.

Noch einmal: Zucker, Kohlenhydrate sind die „gemeinsame Ursache“ für auch die genannten Krebserkrankungen. Solch deutliche Sprache sind wir in deutschen Arbeiten nicht gewohnt. Noch ein paar Schmankerln?

„Fettreiche Seefische wie Makrele, Lachs und Hering sind gute Quellen für EPH und DHA. Bemerkenswert ist, dass tierische Produkte aus artgerechter Haltung mehr Omega-3-Fettsäuren aufweisen als tierische Produkte aus konventioneller Haltung.“

Oh. Was ist denn konventionelle Haltung? Tierquälerei? Einhergehend mit mieser Qualität? Wir haben soeben alle Bilder von Tierbunkern (mehrstöckig!) vor Augen. Die es nur aus einem Grunde gibt: Wir (WIR!) kaufen diese Produkte.

Besonders glücklich der folgende Satz, der jeden von uns zum Nachdenken aufruft:

„Pauschale Empfehlungen zur Kohlenhydratmenge sind weder mögliche noch sinnvoll, sondern vielmehr individuell an die Stoffwechselsituation anzupassen.“

Verstanden? No carb an sich ist nur ein Schlagwort. Genau wie low carb oder Ketose. Kann passen oder auch nicht. Wenn Sie heute eine Krebsdiagnose bekommen, werden Sie sich sehr rasch mit Ketose anfreunden. Glauben Sie mir. Sehr rasch!

Wenn Sie aber ein gesunder, munterer 22-jähriger Sportler sind, haben Sie zu Kohlenhydraten ein sehr viel freundlicheres Verhältnis. Sie essen die frohen Mutes und verbrennen sie auch gleich wieder. Kein Problem.

Ärzte werden und sollten no carb, heißt Verzicht auf künstliche Kohlenhydrate, in den Vordergrund ihrer Gespräche rücken. Ganz einfach deshalb, weil Ärzte in der Regel mit kranken Menschen zu tun haben. Heißt mit Übergewicht, metabolischem Syndrom, Diabetes, Bluthochdruck, Depression bis hin zum Krebs. Heißt übersetzt: Die low carb/ no carb Welle betrifft die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung.

Ich sehe freilich häufig den strahlend – fitten Triathleten. Da lächeln wir über solche Gebrauchsanleitungen.

Zum Schluss noch etwas Interessantes über Nüsse. Gewusst?

„Nüsse sind als Quelle für Ballaststoffe, Mikronährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe sowie Proteine und günstige Fettsäuren sehr empfehlenswerte Lebensmittel – dies vor allem auch aufgrund ihrer sättigenden Wirkung.

Der tatsächliche Energiegehalt von Nüssen wird überschätzt – denn da der Verdauungsvorgang nur einen Teil der Zellen aufschließt, wird ein Teil der Energie unverdaut ausgeschieden – und der tatsächliche Energiegehalt liegt etwa 25 – 30% unter dem physikalisch analytischem Wert.“

Eine rare Einsicht, die sehr häufig in der Ernährungswissenschaft übersehen wird. Sie erinnern sich? Der Kaloriengehalt von Eiweiß wird – genau wie der von Kohlenhydraten – mit 4 kcal pro Gramm angegeben. Stimmt. Rein physikalisch. Stimmt nicht. Biologisch. Im Menschen. Stichwort – spezifisch-dynamische Wirkung.

Beim Verdauungsvorgang von Eiweiß, beim Einbauprozess geht etwa ein Drittel dieser errechneten Kalorien verloren. Und aus dem Eiweiß wird nur ganz wenig biologische Energie gewonnen. Eiweiß dient dem Strukturaufbau. Heißt übersetzt: Eiweiß zehrt.

Zehrt ist das Gegenteil von „macht fett“. Darum Eiweiß. Täglich. Mehrmals. Kommen wir zu dem einleitenden Sätzchen dieses wunderschönen Artikels:

„Die derzeit empfohlene Proteinmenge reicht nicht aus…“

Weiß jeder, der misst. Also jeder Naturwissenschaftler. Weiß selten der normale Arzt, selten der Ernährungswissenschaftler.

Quelle: „Ernährungsempfehlungen beim metabolisch-vaskulären Syndrom“ von Katharina Lechner, Nicole Ericson, Benjamin Lechner, Florian Horn. Aktuelle Ernährungsmedizin 2018; 43:113-127.

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