Experten-Interview

Gast News von Ulrich Strunz jun.

Sie erinnern sich an den Neurowissenschaftler und Schlafexperten Albrecht Vorster (siehe Gast News "Warum wir schlafen."). Autor des Buchs "Warum wir schlafen".

In einer kurzen Email beantwortete Herr Vorster mir zwei Fragen. Im Folgenden einfach ungekürzt seine Antworten:

U.G. Strunz: Was halten Sie von Prof. Lisa Feldman Barrett (Aus Handlung folgt Emotion)?

Albrecht Vorster: Die Dame hat im Großen Recht. Emotionen sind generalisierte Handlungsanweisungen an den ganzen Körper, als Zusammenfassung einer Vielzahl innerer und äußerer Stimuli. Wie ein Körper auf den ein oder anderen Stimulus reagiert ist hoch individuell. Das ist gerade der Punkt an dem Verhaltenstherapie ansetzt. Zum Beispiel auch in der Therapie von Schlafstörungen: Wenn der an sich neutrale oder angenehme Stimulus des Bettes in den Betroffenen Angst auslöst und sie nicht einschlafen lässt. Hier ist es jedoch wirklich schwer für den Betroffenen selbst, ohne Anleitung herauszufinden. Insofern würde ich den Betroffenen nur bedingt in Verantwortung für seine Situation sehen. Häufig ist der Auslöser einer Schlafstörung ein einmaliges, Leben störendes Ereignis (Tod eines Angehörigen, Prüfung etc.) für das der Betroffene wenig kann. In Folge schläft er schlecht (völlig normal). In einigen Fällen bleibt dann der schlechte Schlaf aus sich heraus, eigenständig bestehen. Sich hier am eigenen Schopfe packend aus dem Kreislauf aus Angst vor der Nacht und Schlafstörung herauszuziehen ist sehr schwierig.

U.G. Strunz: Ist das "Auflösen des ICH" derzeit von gesteigertem Interesse in den Neurowissenschaften? (siehe Carhart-Harris et al., 2016).

Albrecht Vorster: Das ist nicht so leicht zu beantworten. Denn die Neurowissenschaften, bzw. die Neurowissenschaftler beschäftigen sich häufig nicht mit den unterschiedlichen Teildisziplinen. Kaum ein Schlafforscher oder Gedächtnisforscher, Neuroentwicklungsbiologe, Gliaforscher wird sich mit dem Auflösen des "ICH" stärker beschäftigen. Die naturwissenschaftliche Bewusstseinsforschung (in der ich zunächst gestartet bin) ist noch in ihren Kinderschuhen. Die Psychologen nähern sich erst langsam von ihrer Seite dem an, wie ein "ICH" im Gehirn konstruiert wird. Wir haben immer noch nicht die Grundlagen der Neurowissenschaften verstanden, also sind solche Fragen mitunter fast etwas verfrüht. Es gibt seit 4 Jahren erste Studien mit denen sich nährungsweise von außen feststellen lässt, ob eine Person bewusst ist oder nicht. Eine Frage von hoher Relevanz bei Coma-Patienten. Solange wir das Bewusstsein nicht definieren können ist die Frage nach der Auflösung dessen verfrüht.

Im Folgenden, kritisiert Herr Vorster (zu Recht) den Zusammenhang von Übergewicht und Schlafmangel (siehe Neligan, 2018, p. 1885):

Albrecht Vorster: Ja es gibt definitiv einen Zusammenhang zwischen Schlaf und Metabolismus. Aber Ernährung, Sport und Lebensführung spielen eine nicht minder wichtige Rolle. Diese Abbildung [Herr Vorster bezieht sich hier auf Neligan, 2018, p. 1885] verführt zu glauben, Schlaf wäre die einzige Ursache.

Ich versuche in meinem Buch, im Gegensatz zu Walker, nicht die ganze Zeit auf den negativen Aspekten von Schlafmangel herumzureiten. Sondern die faszinierenden gesundhaltenden Funktionen des Schlafes zu vermitteln: Gehirnreinigung, Stärkung des Immunsystems, Gedächtnisbildung, Gleichgewicht der Nervenbotenstoffe (Vermeidung von Depressionen und Psychosen)… Wer gut schläft, wer dem Schlaf mehr Platz in seinem Leben einräumt ist klüger, glücklicher, und lebt länger. NICHT (wie Walker): Schlafmangel macht uns dick, dumm und krank. Ein feiner Unterschied, doch es gibt mehr Beweise für die erste Sicht als für die zweite.

Auch Herr Vorster ist ein Vertreter der Froh-Medizin. Gesundheit durch positive Gedanken.

Sie wissen, warum ich ganz persönlich seit 2014 zusammen mit Millionen anderer Menschen nicht mehr fernsehe. Abends vorm Schlafengehen, wenn überhaupt, nur das anschauen, was Freude bereitet (z.B. meine Verlobte):

Wozu noch ARD und RTL? Auch mein Vater streamt über Amazon Prime ohne Werbeunterbrechung und guckt sich bequem über Sprachsteuerung die fabelhaften Kampfszenen von "John Wick 2" über Youtube an. Keanu Reeves betreibt übrigens Brazilian Jiu Jitsu, ist Lilagurt-Träger. Herrlicher akrobatischer Flow. Echte Kunst!

Droh-Medizin lässt uns gewiss nicht gut schlafen (siehe Gast News Nr. 92 "Die deutschen Medien – Das tödliche Geschäft mit der Angst" und Gast News Nr. 93 "Kommunikation kann nicht zurückgenommen werden"):

Angst über Dinge, das ist Grübeln, bringt unserem Gehirn nichts. Freude dagegen, das sagte Prof. Lisa Feldman Barrett schon 2004, heilt den menschlichen Körper. Fördert unsere Resilienz. Freude entspringt einer Handlung. Entspringt dem Tun, nicht dem Grübeln.

Herr Vorster hat Recht! Konzentrieren wir uns auf die Vorteile des Lebens. Handeln wir!

Schreiben Sie ein Buch (siehe News 05.10.2014)! Schaffen Sie Nutzen!

Herr Vorster hat ein geniales Buch geschrieben. Ein seltenes Exemplar, denn – obwohl 400 Seiten dick, ist es spannend und liest sich richtig angenehm. Beste Abendlektüre. Danke dafür.

Quellen:

Carhart-Harris, R. L., Muthukumaraswamy, S., Roseman, L., Kaelen, M., Droog, W., Murphy, K., … Nutt, D. J. (2016). Neural correlates of the LSD experience revealed by multimodal neuroimaging. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 113(17), 4853–4858. https://doi.org/10.1073/pnas.1518377113

Neligan, A. (2018). Why We Sleep? A manifesto in defence of sleep. Brain : A Journal of Neurology, 141(6), 1884–1886. https://doi.org/10.1093/brain/awy115